EuGH-Urteil zu asymmetrischen Gerichtsstandsklauseln – Auswirkungen und praktische Erwägungen in Bezug auf Schiffsfinanzierungsverträge

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Die Rechtsprechung des EuGH (C-537/23) zu asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarungen – Auswirkungen und praktische Erwägungen mit besonderem Blick auf Schiffsfinanzierungsverträge.

Kurz zusammengefasst: Im Februar 2025 hat der EuGH ein wegweisendes Urteil zu asymmetrischen Gerichtsstandsklauseln veröffentlicht, welches direkten Einfluss auf viele internationale Finanzierungsverträge hat. Im Folgenden wird erläutert, welche Auswirkungen das Urteil auf die Finanzierungspraxis hat, wie die Loan Market Association darauf reagiert und wie darüber hinaus das englische Recht zu asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarungen steht.

 

In vielen internationalen Verträgen – insbesondere in Darlehensverträgen – finden sich sogenannte asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen. Diese begünstigen regelmäßig eine Vertragspartei (oftmals den Darlehensgeber), indem sie ihr neben einem vereinbarten ausschließlichen Gerichtsstand auch das Recht einräumen, an weiteren Gerichtsständen zu klagen. Die andere Partei (typischerweise der Darlehensnehmer) ist hingegen an den festgelegten Gerichtsstand gebunden. Offen blieb bisher jedoch, ob solche Gerichtsstandsvereinbarungen auch mit europäischem Recht – konkret mit der Brüssel Ia-Verordnung (EuGVVO) – vereinbar sind. Diese Frage hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) nun auf Vorlage der französischen Cour de Cassation im Fall Agora/Società Italiana Lastre (C-537/23) beantwortet und dabei zentrale Weichen für die Vertragsgestaltung von Gerichtsstandsvereinbarungen gestellt.

Im zugrundeliegenden Fall hatte das französiche Unternehmen Agora SARL (Agora) von dem italienischen Unternehmen Società Italiana Lastre SpA (SIL) Verkleidungspaneele bezogen. In dem Vertrag wurde Brescia (Italien) als ausschließlich zuständiges Gericht vereinbart. Darüber hinaus wurde vereinbart, dass SIL Agora auch „an einem anderen zuständigen Gericht in Italien oder im Ausland“ verklagen könne. Ungeachtet dieser Abrede nahm Agora SIL vor französischen Gerichten in Anspruch. SIL berief sich wegen der Gerichtsstandsvereinbarung mit Agora auf die internationale Unzuständigkeit französischer Gerichte. Dieser Einwand blieb in den Instanzen ohne Erfolg. Die Cour de Cassation setzte das Verfahren schließlich aus und legte dem EuGH verschiedene Fragen zur Wirksamkeit von asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarungen und zu deren Prüfung gemäß Art. 25 Abs. 1 EuGVVO vor.

In seinem Urteil stellt der EuGH zunächst klar, dass die Wirksamkeit asymmetrischer Gerichtsstandvereinbarungen auf Grundlage autonomer Kriterien einheitlich zu beurteilen ist, die sich aus einer Auslegung des Art. 25 EuGVVO ergeben. Nationale Rechtsvorschriften sind nur insoweit relevant, als es um allgemeine Nichtigkeitsgründe wie Geschäftsunfähigkeit oder Irrtum geht.

Mit Blick auf die Bestimmtheit und inhaltliche Grenzen verlangt der EuGH dreierlei von asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarungen:

  • Erstens müssen die vereinbarten Gerichte in einem oder mehreren EU-Mitgliedstaaten oder EFTA-Vertragsstaaten (Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz) liegen. Da sich die Zuständigkeit von Gerichten in Drittstaaten nicht nach der EuGVVO, sondern nach dem internationalen Verfahrensrecht der jeweiligen Drittstaaten richten, verstößt die asymmetrische Vereinbarung drittstaatlicher Gerichte gegen die von der EuGVVO angestrebte Vorhersehbarkeit, Transparenz und Rechtssicherheit.

  • Zweitens müssen die Gerichte ausdrücklich bezeichnet oder objektive Kriterien in der Gerichtsstandsvereinbarung enthalten sein, die so genau sind, dass das jeweils angerufene Gericht seine Zuständigkeit feststellen kann.

  • Drittens darf nicht gegen die Regelungen zu Gerichtsstandsvereinbarungen im Rahmen der „Gerichtsstände zum Schutz Schwächerer“ gemäß Art. 15, 19, 23 EuGVVO oder gegen ausschließliche Zuständigkeiten gemäß Art. 24 EuGVVO verstoßen werden.

 

Reaktion und Vorschlag der Loan Market Association

Als Konsequenz aus dem EuGH-Urteil hat die Loan Market Association (LMA) am 5. September 2025 angepasste asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen für die Verwendung in deutschrechtlichen Finanzierungsverträgen veröffentlicht. Während zuvor auf "any other courts with jurisdiction" abgestellt wurde, wird nun einschränkend und explizit auf Gerichte innerhalb der EU bzw. des Anwendungsbereichs des Luganer Übereinkommens verwiesen, welche nach Kapitel II, Abschnitt 1 und 2 der Brüssel-Ia-Verordnung (Verordnung Nr. 1215/2012) bzw. der entsprechenden Vorschriften des Luganer Übereinkommens Zuständigkeit haben. Damit verweist die Klausel letztlich auf die sonstigen Zuständigkeiten nach den Artikeln 4 bis 26 der EuGVVO, so dass im Einzelfall geprüft werden muss, ob der Darlehensgeber an dem gewünschten Gericht nach Maßgabe der Artikel 4 ff. EuGVVO z.B. aufgrund des Erfüllungsortes oder des Sitz des Darlehensnehmers Klage erheben kann.

 

Asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen im englischen Recht

Asymmetrische Gerichtsstandvereinbarungen sind im englischen Recht seit langem anerkannt und durch englische Gerichte vollstreckbar. Entscheidungen wie z.B. Commerzbank Aktiengesellschaft v Liquimar Tankers Management Inc and Pauline Shipping Limited [2017] EWHC 161 (Comm)bestätigen dies.

Für die Wirksamkeit einer asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarung muss nach englischem Recht die Möglichkeit der Parteien, zwischen mehreren Gerichtsständen wählen zu können, in der Klausel klar zum Ausdruck kommen. Das zuständige Gericht soll sich anhand von objektiven Kriterien bestimmen lassen können, damit ein angerufenes Gericht seine eigene Zuständigkeit prüfen kann. Eine hinreichende Formulierung ist beispielsweise "any other competent court". Soll ein Gericht hingegen ausschließlich zuständig sein, so ist dieses ausdrücklich zu benennen.

Fällt eine Streitigkeit unter die ausschließliche Zuständigkeit eines englischen Gerichts, wäre ein Gericht eines EU-Mitgliedstaats gemäß dem Haager Gerichtsstandsübereinkommen von 2005 verpflichtet, Verfahren, die damit in Konflikt stehen, auszusetzen. Asymmetrische Klauseln gelten jedoch nicht als ausschließlich im Sinne dieses Übereinkommen. Es ist ungewiss, ob ein Gericht in einem EU- oder EFTA-Land trotz einer asymmetrischen Klausel nach englischem Recht seine Zuständigkeit annehmen könnte, da die Klausel zwar nach englischem Recht gültig ist, aber nicht den Kriterien des EuGH entspricht. Befindet sich das ausschließlich zuständige Gericht jedoch nicht in einem Mitgliedstaat (sondern z. B. in England), findet Artikel 25 der Brüssel-I-Verordnung keine Anwendung. Dieser setzt ausdrücklich voraus, dass ein Gericht eines Mitgliedstaats als zuständig vereinbart worden ist.

 

Auswirkungen auf Schiffsfinanzierungsverträge

Darlehensgeber, die eine asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung in ihren Darlehensverträgen mit einem EU-Bezug aufgenommen haben bzw. aufnehmen möchten, müssen sich aufgrund des EuGH-Urteils entscheiden, wie sie mit bereits bestehenden und künftigen asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarungen umgehen möchten. Hierfür bedarf es einer rechtlichen Einschätzung, ob die bestehende Gerichtsstandsvereinbarung den Kriterien des EuGH entspricht und ob rechtliche oder praktische Erwägungen etwaige Nachteile einer möglicherweise unwirksamen asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarung relativieren können. Gleichermaßen stellt sich für alle neuen Verträge die Frage der Zielsetzung für eine Gerichtsstandsvereinbarung und ob eine beidseitig ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung, eine asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung nach Zuschnitt der aktuellen EuGH-Rechtsprechung oder eine möglichst weite asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung dieser Zielsetzung am ehesten gerecht wird.

Die Frage nach dem für eine Klage örtlich zuständigen Gericht kann sich für den Darlehensgeber einer klassischen Schiffsfinanzierung in unterschiedlichen Situationen stellen. So kann bei einer Vollstreckung in das Schiff eine Klageerhebung durch den Darlehensgeber zur Erlangung eines vollstreckbaren Urteils bzw. Titels erforderlich sein (siehe hierzu unten unter (a)). Auch kommt eine Klageerhebung durch den Darlehensgeber aufgrund sonstiger Pflichtverletzungen unter dem Darlehensvertrag in Betracht, ohne dass eine Vollstreckung in das Schiff beabsichtigt ist (siehe hierzu unten unter (b)). Der Darlehensgeber sollte sich zudem bewusst sein, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung auch darüber bestimmt, an welchem Gerichtsstand er selbst verklagt werden kann (siehe hierzu unten unter (c)).

Die Gerichtsstandsvereinbarung ist für den Darlehensgeber folglich in mehrfacher Hinsicht relevant. So kann er nicht nur einen guten Klageort für sich bestimmen, sondern auch Gerichtsstände ausschließen, an denen er selbst nicht verklagt werden möchte.

(a) Vollstreckung in das Schiff

Entscheidet sich der Darlehensgeber aufgrund von Zahlungsverzug durch den Darlehensnehmer dazu, in das Schiff zu vollstrecken, so wird er das Schiff zunächst arrestieren. In einem zweiten Schritt ist je nach Jurisdiktion ein zusätzlicher Vollstreckungstitel erforderlich. Sofern sich dieser nicht aus der Schiffshypothek bzw. der vollstreckbaren (Teil-)Unterwerfungserklärung ergeben sollte, ist ein vollstreckbares Gerichtsurteil zu erlangen. Dies führt in der Praxis zu der Frage, in welchem Staat der Darlehensgeber das vollstreckbare Urteil sinnvollerweise zu erwirken versucht. Denkbar ist einerseits ein Gericht in der Jurisdiktion, welche dem ausgewählten Recht des Darlehensvertrages entspricht. Dieses kennt die gewählte Rechtsordnung am besten. Andererseits bietet sich das Gericht des Arrestortes des Schiffes an, um ein unter Umständen langwieriges Anerkennungsverfahren zu vermeiden.

Die bisher üblichen asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarungen sahen daher auch diese Optionen zur freien Wahl des Darlehensgebers vor. Aufgrund der Mobilität des Schiffes sind die bisherigen asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarungen in Schiffsfinanzierungsverträgen nicht regional beschränkt. Eine asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung, die im ersten Teil ein Gericht eines EU-Mitgliedstaats bzw. EFTA-Staats als ausschließlich zuständig erklärt und für den zweiten Teil nicht auf EU- bzw. EFTA-Staaten beschränkt ist, sondern das Gericht für zuständig erklärt, in dessen Hafen das Schiff belegen ist bzw. generell auf alle Gerichte mit Zuständigkeit verweist, erfüllt jedoch nicht die im EuGH-Urteil genannten Kriterien, ist daher nach Maßgabe der EuGVVO unwirksam und würde von einem Gericht in einem EU-Mitgliedstaat bzw. EFTA-Staat nicht anerkannt werden.

Hat der Darlehensgeber jedoch Klage vor einem Gericht eines außerhalb der EU bzw. des EFTA-Raumes gelegenen Drittstaats erhoben, wird dieses über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung gemäß dem Recht entscheiden, das nach dem Kollisionsrecht dieses Drittstaates anwendbar ist.

Auch sollte im Einzelfall geprüft werden, ob sich die Zuständigkeit für ein Gerichtsverfahren zur Erlangung eines vollstreckbaren Urteils am Arrestort eines Drittstaats ungeachtet einer (ggf. unwirksamen) asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarung bereits aus dem Arrest des Schiffes oder aufgrund anderer Vorschriften des nationalen Rechts ergibt. Regelmäßig dürfte zumindest der Arrest eine Zuständigkeit auch in der Hauptsache begründen. Fraglich könnte jedoch sein, wie sich in einem solchen Fall eine ausschließliche oder eine auf EU- bzw. EFTA-Staaten beschränkte asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung im Darlehensvertrag auf die anderenfalls gegebene Zuständigkeit auswirken könnte.

(b) Klageerhebung aufgrund sonstiger Pflichtverletzungen

Entscheidet sich der Darlehensgeber, den Darlehensnehmer aufgrund einer sonstigen Pflichtverletzung zu verklagen, ohne dass eine Vollstreckung in das Schiff beabsichtigt ist, so ist regelmäßig ein Gericht in der Jurisdiktion am besten geeignet, welche dem auf den Darlehensvertrag anwendbaren Recht entspricht. Das in einer Gerichtsstandsvereinbarung genannte ausschließliche Gericht sollte daher dieser Rechtsordnung entsprechen. Ist jedoch eine asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung im Darlehensvertrag enthalten, welche nicht den Kriterien des EuGH-Urteils entspricht, könnte das angerufene Gericht seine Zuständigkeit unter Verweis auf die Unwirksamkeit der asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarung ablehnen, sofern sich nicht aus gesetzlichen Vorschriften z.B. aus Art. 8 EuGVVO oder §§ 12 ff. ZPO seine Zuständigkeit ergibt.

(c) Klagen gegen den Darlehensgeber

Aus Sicht des Darlehensgebers kann es auch sinnvoll sein, die Klagemöglichkeit gegen den Darlehensgeber auf ein ihm genehmes Gericht zu begrenzen. Dies ist am ehesten möglich durch eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung bzw. durch eine wirksame asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung, welche den Anforderungen der aktuellen EuGH-Rechtsprechung genügt. Anderenfalls könnte sich im Fall einer unwirksamen Gerichtsstandsvereinbarung ein Gericht unter Verweis auf nationales Recht oder anderweitig anwendbare internationale Abkommen für zuständig erklären. Der Darlehensgeber wäre entsprechend dem Risiko ausgesetzt, an einem dem Darlehensgeber nicht genehmen Gericht verklagt zu werden.

 

Fazit und Handlungsempfehlungen

Die EuGH-Entscheidung bringt einerseits willkommene Klarheit zur Zulässigkeit in Bezug auf asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen im europäischen Kontext. Asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen sind grundsätzlich zulässig, sofern sie den formalen und inhaltlichen Anforderungen des Urteils entsprechen. Andererseits bleiben Fragen offen. Insbesondere ist weiterhin unklar, ob objektive Kriterien benannt werden können (z.B. Erfüllungsort, Sitz einer Partei), die zur wirksamen Vereinbarung der Zuständigkeit drittstaatlicher Gerichte führen können oder ob zusätzlich konkrete drittstaatliche Gerichte als Alternative benannt werden dürfen, soweit diesbezüglich auch die Anforderungen des EuGH nach Rechtssicherheit, Transparenz und Vorhersehbarkeit gewährleistet sind. 

Sofern eine asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung nach englischem Recht mit dem ausschließlichen Gerichtsstand in einem Drittstaat (z.B. England), nicht aber in einem EU- bzw. EFTA-Mitgliedstaat, vereinbart ist, kommt die EuGVVO hingegen nicht zur Anwendung. Ungeachtet dessen ist auch hier eine sorgfältige Formulierung der Vereinbarung empfehlenswert, um den englischrechtlichen Anforderungen zu genügen.

Die EuGH-Entscheidung sollte für Darlehensgeber Anlass sein, bestehende Klauseln zu prüfen und Gerichtsstandklauseln in künftigen Verträgen gewissenhaft zu gestalten. Dazu sollten die Darlehensgeber insbesondere Klarheit darüber haben, was ihre primäre Zielsetzung mit der Vereinbarung einer Gerichtsstandsvereinbarung ist. In Konsequenz daraus ist zu bewerten, ob eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung den Interessen des Darlehensgebers am besten dient oder eine asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung mit ihren potenziellen Schwächen und Unvollkommenheiten zielführender ist.  

Wenden Sie sich bei Fragen gerne an Ihre Ansprechpartnerin oder Ihren Ansprechpartner bei EHLERMANN RINDFLEISCH GADOW oder an Hendrik Brauns oder Rebecca Oliver.